Neulich ist mir ein bundesweit bekanntes Studentenmagazin einmal wieder zwischen die Finger gekommen, das ich bis dato eigentlich ganz gerne gelesen hatte. In der neuesten Ausgabe wird von einem Beratungsunternehmen für ein sogenanntes Lesetraining geworben, was mich etwas nachdenklich stimmte. Unter anderem mit Sätzen wie „Schneller lesen…mehr verstehen“. Soso. Ausgeklügelte Lesetechniken sollen den notorisch mit Lesestoff überfrachtet- und forderten Studenten dazu befähigen, noch mehr Informationen aufnehmen zu können. Angeblich soll es immer mehr Hochschullehrer geben, die ihren Studenten derartige Speed-Reading-Techniken anempfehlen, um die sich während des Semesters auftürmenden Bücherberge bewältigen zu können.
Wahrscheinlich bin ich zu blöd, langsam und unintelligent
Ich persönlich habe schon damals rein gar nichts von sogenannten Schnell- und Querlesetechnicken gehalten. Das mag unter anderem auch einfach daran liegen, dass ich wahrscheinlich zu blöd, langsam, unitelligent, whatever dafür bin. Ein Bekannter hatte vor Jahren einmal versucht, mich in die Geheimnisse des Unwichtige-Wörter-Auslassens und Marathonlesens einzuführen. Allein, alle einschlägigen Versuche schlugen fehl. Nach wie vor liegt meine Lesegeschwindigkeit wahrscheinlich bei der eines etwa siebeneinhalbjährigen Legasthenikers, was ich aber nie schlimm gefunden habe.
Je nach Text lese ich vielleicht eine Seite in zwei Minuten (bei leichter belletristischer Kost) oder in fünf Minuten (bei wissenschaftlichen Texten) und bei englischen Texten sind es manchmal gar 10 Minuten pro Seite. Das kann man im Prinzip nur schwerlich generalisieren, aber wenn man von Büchern ausgeht, die in etwa 300 Wörter pro Seite aufweisen, dann ist das ein ganz guter Durschnittswert, den ich immer mal wieder ausrechne.
900 Wörter pro Minute lesen? Kein Problem!
Doch in besagtem Artikel des Studentenmagazins wird behauptet, dass „ein durchschnittlicher Leser […] circa 200-300 Wörter pro Minute“ schaffe. „Mit den richtigen Lesetechniken“ sei „das bis zu dreifache dieser Menge zu schaffen.“ Das hört sich für mich in etwa so an, als ginge es beim Lesen eines Buches um die Bezwingung eines bösen Monsters, das man auf seiner neuen Playstation irgendwo auf Level 143 besiegen müsste.
Zudem behaupte ich einfach mal, dass hier schamlos gelogen wird: 900 Wörter pro Minute zu lesen / schaffen und dabei das Wesentliche aus dem Text herauszufiltern ist vielleicht möglich, wenn man Mr. Spock heißt (oder so) und sich Wissen von irgendwoher ins Hirn beamen kann. Doch worum es mir beim Lesen eigentlich geht, ist der ästhetische Aspekt, das Verstehen von Zusammenhängen und nicht zuletzt der Spaß dabei. Ob das jetzt beim analogen Buchlesen ist oder beim Online-Lesen am Bildschirm: muss man dabei unbedingt dermaßen hetzen und dem ewigen „höher, schneller, weiter“ frönen? Ist das Lesen und sich Zeit dafür zu nehmen wirklich so out? Muss eine der schönsten kulturellen Errungenschaften wirklich zu dieser Art optimierten Informationskonsums verkommen?
In der Bloggerwelt scheint sich diese Unsitte neuerdings immer mehr zu verbreiten, dass Leute schnell mal über einen Text fliegen / „scannen“ und sich wertvolle Infos rauspicken; was dabei wirklich im Text geschrieben steht, bleibt aber häufig offensichtlich auf der Strecke, was man dann an teilweise völlig sinnfreien Kommentaren (die möglicherweise von Hobby-Spammern stammen) ablesen kann. Ich möchte für meinen Teil jedenfalls dafür eintreten, dass auch Blogartikel (wieder) gelesen werden, was für mich beispielsweise folgende Konsequenzen hat:
- ich werde künftig bestenfalls einmal die Woche schreiben, um den potenziellen Leser hier nicht zu überfordern
- die Artikel werden länger als irgendwelche standardmäßigen für das Internet aufbereiteten Texte sein
- ich hoffe, dass ich in jedem Beitrag zumindest ein bis zwei interessante und irgendeinen Mehrwert liefernde Sätze / Gedanken bereitstellen kann, um der Allgemeinheit auch einen Grund zu liefern, überhaupt dieses Zeug hier zu lesen.
Lest langsamer und habt Spaß dabei!
Was das Lesen in der Offline-Welt anbelangt: ich hoffe, dass der Großteil der (Jung-)Studenten und auch anderer Mitbürger diesen Schwachsinn vom „Schneller Lesen“ nicht mitträgt; denn besagte „Lesetechniken“ tragen bestenfalls dazu bei, dass der Spaß am Lesen auf der Strecke bleibt und man schön in seichter Oberflächlichkeit verharrt und Texte gedanklich nicht mehr durchdringt. Was viel effektiver ist: selektiert und versucht nicht alles zu lesen, was Euch vorgesetzt wird. Lest dafür das, was Ihr gerne lest öfter und verinnerlicht es.
Glücklicherweise habe ich nur Minuten nachdem ich obigen Artikel in dem Studentmagazin gelesen habe, folgende erfreuliche Stelle in einer Einführung zu Wittgenstein gefunden, die ich zum Schluss noch zitieren möchte:
Kennzeichnend war dabei, daß es [Wittgenstein] nie darum ging, möglichst viel kennenzulernen, sondern das, womit er sich gerade auseinandersetzte, zu durchdringen und bis in die letzte Faser zu verstehen…So las er seine Lieblingsbücher immer wieder von neuem, und stets las er sie mit größter Aufmerksamkeit.
Quelle: Joachim Schulte: Wittgenstein. Eine Einführung, Stuttgart 2006, S. 28.
Mein Lieblingsbuch lese ich auch immer und immer wieder.
Es ist schon ganz abgegriffen.
Hi Lisa,
ja genau so sollte es sein: vom Lesen gezeichnet;)
erst wollte ich dir widersprechen, da ich es durchaus hin- und wieder für angebracht halte, einen langen fachspezifischen text, den man aber für studium oder fortbildung lesen muss, schnell durchzuackern und in kürzester zeit zu extrahieren.. was du aber im weiteren verlauf über das lesen schreibst, da muss ich dir zustimmen.. natürlich sollte man das lesen, was einem spaß macht und das dann auch ausführlich und gern auch mehrmals.. aber als student oder schüler hat man halt nicht immer die wahl.. bei blogartikeln gehe ich aber in jedem fall konform.. ich bin schon gespannt, was du für einen mehrwert bietest..
Hey John,
unsere Gesellschaft ist eine Konsumgesellschaft. Sie ist Schnelllebig und auf Masse aus. Was heißt, dass man in kürzester Zeit viel konsumieren muss. Was auch das Lesen betrifft. Lass es uns anhand eines Beispiels fest machen. Wer hat denn Morgens noch Zeit seine Tageszeitung ausgiebig zu lesen? Wer hat Zeit, neben seiner Arbeit denn Stoff für seine Weiterbildung zu extrahieren ohne, dass sein Privatleben auf der Strecke bleibt?
Ich stimme dir voll und ganz zu. Doch sollte man sich die Frage stellen, wofür man die Zeit investieren möchte. Möchte ich ein Buch lesen, weil es mich interessiert, weil es mich anspricht und ich das dem Spaßfaktor mache, kann ich mir jede Menge Zeit für nehmen. Muss ich aber was lesen, weil es notwendig ist. Sollte man gucken, dass man es schnellst möglich aufgenommen hat.
MfG
darki
Für die Schnellleser könnte man ja noch ein Exzerpt machen lol
vg
Maik
@eliterator:
bzgl. der Studenten habe ich eher gemeint, dass man nicht alle Texte lesen muss, die in den Fußnoten stehen. Die jeweilige Lektüre, die man so als „Hausaufgabe“ lesen soll/muss/kann, ist da noch nicht mit eingerechnet…ich hoffe inständig, dass ich bisher auch schon irgendeine Mehrwert liefern konnte – selbst wenn der marginal war;)
@darki:
Tageszeitung lese ich leider auch kaum noch, wobei ich immer wieder erstaunt bin, wie gut das eigentlich tut. Also sie mal zu lesen, meine ich. Sie täglich zu lesen wäre utopisch, aber am Wochenende sollte es dann schon mal sein. Tagsüber bekommt man für meinen Geschmack sowieso schon mehr als genug mit aus den verschiedensten Quellen.
Dinge, die ich eigentlich gar nicht lesen möchte, versuche ich dann auch einfach nicht zu lesen. Klappt natürlich nicht immer, aber immer öfter. Bei Dingen, die ich nicht lesen will, aber muss, ist es aber meistens so, dass sie so schwer zu begreifen sind, dass ich gerade dafür massig Zeit brauche und nicht schnell erledigen kann. Aber vielleicht fehlt mir da wirklich einfach die Technik oder ich lese zu genau; kann das aber auch (leider?) nicht mehr abschalten.
@Maik:
Das mit dem Exzerpt ist gar keine schlechte Idee: kann man sicher noch schön mit den wichtigsten Keys vollstopfen ftw 😀